Wohin führt unsere Vision?
Klar, unser Auftrag als Christen ist seit 2000 Jahren derselbe. Doch wir müssen ihn uns immer wieder aneignen und für das Heute konkret machen.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mir in der Anfangsphase unserer Gemeindegründungsarbeit in Mindelheim 1990 das Ziel setzte, alle Einwohner der Stadt mit evangelistischen Schriften zu erreichen und jeden Haushalt möglichst auch persönlich zu besuchen. Mithilfe von Jugendgruppen unternahmen wir Briefkastenjogging und lernten viele Mindelheimer an den Haustüren kennen. Einige fanden darüber zu Jesus. Damals gab es in der DIM noch keine Vision oder Strategie, die mir sicher sehr geholfen hätten, doch wir spürten irgendwie die Verantwortung, alle mit dem Evangelium bekannt zu machen – ohne Ausnahme. Genau wie heute dachten wir an jeden Einzelnen, jede Familie und den ganzen Ort.
Ausnahmslos jeder
„Jesus – in jedes Herz, in jedes Haus, in jeden Ort.“
Das ist der Ausgangspunkt unserer DIM-Vision, wie wir sie so ähnlich schon vor einigen Jahren formuliert haben.1 Gottes Liebe gilt der ganzen Welt (Joh 3,16) und er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1Tim 2,4). Jesus selber hat es vorgelebt. Wir beobachten in den Berichten der Evangelien, wie bei ihm niemand außen vor blieb. Er wusste sich zu allen möglichen Menschen gesandt und diente ihnen: von Zolleinnehmern und Prostituierten bis hin zu römischen Offizieren und den religiösen Führern der Juden. Die verschiedenen Aussagen und Anweisungen Jesu zur Mission seiner Jünger erweitern den Kreis noch: Es geht um alle Welt, alle Nationen, die ganze Schöpfung und die Enden der Erde. Sozusagen die letzte Bestätigung bietet in der Offenbarung die Schau von „einer großen Volksmenge, die niemand zählen konnte, aus jeder Nation und aus Stämmen und Völkern und Sprachen“ vor dem Thron Gottes (Off 7,9). Gottes Heil und sein Auftrag an uns schließen ausnahmslos jeden Menschen ein.
So klar das biblisch begründet ist, so herausfordernd gestaltet sich die Umsetzung in einer modernen, im ständigen Wandel begriffenen, pluralistischen Gesellschaft wie der deutschen. Zwei praktische Beispiele für diese Herausforderung: Als wir vor 2013 schrieben, dass wir auch ein besonderes Augenmerk auf die Arbeit unter Migranten legen, war dies im Wesentlichen der Dienstschwerpunkt eines unserer Mitarbeiter. Wir ahnten nicht, dass seit der so genannten „Flüchtlingswelle“ 2015 inzwischen jeder von uns mehr oder weniger stark mit Migranten verschiedenster Nationalitäten missionarisch unterwegs sein würde oder eine Zeitlang war.
Ein anderer Aspekt wird mir immer wieder deutlich, wenn ich mich mit den SINUS-Milieustudien zur Zusammensetzung der deutschen Gesellschaft beschäftige. Die neuesten Erhebungen deuten daraufhin, dass gerade die gesellschaftlichen Segmente wachsen, die am weitesten von der traditionellen, eher konservativen bürgerlichen Mitte entfernt sind – und somit bislang am wenigsten von den christlichen Kirchen und Gemeinden sowie missionarischen Initiativen erreicht werden.2 Ich bin überzeugt, Jesus wäre zu ihnen gegangen - hätte es diese Milieus damals schon gegeben. Werden wir, auch als DIM, solche Wege finden?
Keine einsamen Wölfe
„Dazu fördern wir starke Teams“
Ab und zu begegnet mir in Gesprächen immer noch die Vorstellung, Missionare seien einsame Helden, die allein (oder höchstens mit Familie) als Pioniere an den äußersten Grenzen des Reiches Gottes stationiert sind, um dort Menschen für Jesus zu gewinnen. Zwar gab es ähnliche Konstellationen in der DIM, aber jede Menge praktische wie biblische Gründe sprechen dagegen, dass Mission „alleine" ginge. Apostel (also Missionare) sind keine einsamen Rufer, so wie wir uns vielleicht manchen alttestamentlichen Propheten vorstellen. Die meisten Propheten wie Elia oder Jeremia hatten Mitarbeiter, andere wie Samuel und Elisa hatten Prophetenschüler. Sie waren keine Einzelkämpfer. Im NT schließlich begegnen uns Johannes der Täufer sowie Jesus selber zusammen mit ihren Jüngern. Jesus sendet sie in Zweierteams aus und Paulus schließlich arbeitet in und mit einem großen Netzwerk von Mitarbeitern. Solche apostolischen Teams waren im NT und in der Geschichte der christlichen Mission der Normalfall und wir tun gut daran, dieses Modell Jesu und der Apostel auch in der DIM konsequenter als bisher zu verwirklichen.
Wenn wir von „starken Teams“ sprechen, denken wir an geistlich begabte, bewährte, berufene und teamfähige Persönlichkeiten. Um in einer Pioniersituation, in einem Umfeld, in dem es kaum Gemeinden gibt oder in dem christliche Prägungen überhaupt kaum Einfluss haben, sind in erster Linie apostolische und evangelistische Gaben gefragt. Ein Ideal besteht sicherlich in einem Mix aller fünf Gaben, wie wir sie in Epheser 4 finden: Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten, Lehrer.
Unsere Erfahrungen in der DIM zeigen uns, dass ein einzelner Gemeindegründer ohne Team, der vor Ort Gemeinde gründet, nicht der beste Startpunkt ist. Schon heute sehen wir, wie Teams in unterschiedlichen Konstellationen, mit vollzeitlichen Mitarbeitern, Teilzeitlern und Ehrenamtlichen, aus verschiedenen Nationalitäten und Missionswerken wesentlich effektiver arbeiten können.
Von Mensch zu Mensch
„Teams, die ansteckend für Jesus leben“
Im Gegensatz zu krank machenden Viren und Bakterien gibt es auch vieles, das positiv ansteckend wirkt – Freude zum Beispiel oder Begeisterung. Wie kann ein Leben mit und für Jesus andere Menschen anstecken? Da gilt es zunächst zu fragen, wie wir persönlich unsere Jesusnachfolge leben: Aufrichtig? Authentisch? Überzeugend? Nötig für die Weitergabe des Glaubens ist in jedem Fall die Begegnung von Mensch zu Mensch – und genau das möchten wir mit diesem Teil der Vision zum Ausdruck bringen. „Gottes Methode sind Menschen“, hat mal jemand gesagt. Die Gute Nachricht verbreitet sich über soziale Beziehungen: Menschen erzählen anderen ihre Geschichte mit Jesus, beten für sie und dienen ihnen in der Liebe Jesu. Gottes Wort wird weitergegeben und die Bibel miteinander entdeckt. Und wenn ein ganzes Team auf diese Weise als missionale Gemeinschaft lebt, wird die Wirkung vervielfacht. Besondere missionarische Aktionen spielen keine so große Rolle mehr wie ein Leben als Jünger von Jesus, der andere zu Jüngern macht. Wir glauben, wenn ein Team in dieser Weise ansteckend für Jesus lebt, werden die neuen Gläubigen ebenfalls so geprägt und wachsen zu mündigen Nachfolgern – ähnlich wie Paulus es ausdrückt: „Folgt meinem Beispiel, so wie ich dem Beispiel folge, das Christus uns gegeben hat“ (1Kor 11,1 NGÜ).
Der Kern von Gemeinde
„Teams, die liebevolle Gemeinschaften gründen“
Warum reden wir von Gemeinschaften und nicht von Gemeinden, die gegründet werden? Eine berechtigte Frage, erst recht in einem Magazin namens „Brennpunkt Gemeindegründung“. Wir haben den Eindruck, dass der Begriff „Gemeinde“ im evangelikal-freikirchlichen Bereich eine Menge Bilder, Vorstellungen und Erwartungen weckt, die leicht vom wesentlichen Kern einer Gemeinde ablenken: Gott zu lieben, einander zu lieben und Menschen zu Jüngern zu machen. „Gemeinschaft“ drückt aus unserer Sicht besser aus, dass wir als organische Familie Gottes in Liebe miteinander leben – und eben nicht nur zu einer Gemeinde als Organisation gehören oder zur Gemeinde gehen. Liebe ist das Qualitätsmerkmal christlicher Gemeinschaft schlechthin, wobei Jesus selbst den Maßstab für seine Nachfolger vorgibt (Joh 13, 34-35).
Liebe wird naturgemäß durch ein apostolisches Team besser sichtbar als durch einen einzelnen Missionar und seine Familie. Am liebevollen Umgang miteinander erkennen andere Gottes Liebe.
Wir leben Jüngerschaft in gesunden Gemeinschaften. Einfache Strukturen sind uns wichtig, damit die einzelnen Gemeinschaften sich ihrem Umfeld flexibel anpassen und ihm dienen können. Idealerweise gründet sich eine neue Gemeinschaft entlang bestehender sozialer Beziehungen bzw. innerhalb einer sozialen Gruppe, in der man sich kennt und vertraut. Im NT steht dafür der Begriff oikos (griechisch für „Haus“). Wenn soziale Beziehungsnetze als Ganze missionarisch in den Blick kommen, können sie zur Keimzelle einer (neuen) christlichen Gemeinschaft werden. Dieser Ansatz steht im Kontrast zu Gemeindegründungen, die vorwiegend Sammlungsbewegungen von (möglicherweise unzufriedenen) Christen sind.
Dabei tritt die Frage nach Formen und Strukturen des Gemeindelebens bewusst in den Hintergrund. Es gilt der englische Leitspruch: „Form follows function“ – erst der Zweck, dann die Form. Einfache, flexible Strukturen ermöglichen die Anpassung an lokale oder kulturelle Gegebenheiten und dienen dem Jüngerschaftsprozess und dem Leben der Gemeinschaft. Fragen nach Abläufen – etwa wann, wie, wo oder ob Gottesdienste stattfinden – sind nachrangig. So spielt auch das früher so zentrale Thema der Gemeinderäume mindestens in der Gründungsphase praktisch keine Rolle – und wenn das Netzwerk auch weiterhin aus kleinen Gemeinschaften besteht, die sich zu Hause treffen, kommt es vielleicht nie zur Sprache.
Dynamische Ausbreitung
„Teams, die multiplikative Bewegungen anstoßen“
Im NT begegnet uns eine expansive Jesus-Bewegung, eine Bewegung des Evangeliums, die mit Jesus selbst beginnt: Er geht zusammen mit seinen Jüngern hin zu den Menschen und so kommen Menschen zu Jesus. Die Be-gegnung mit Jesus verändert sie und sie gehen ihrerseits und erzählen anderen davon. Immer mehr Menschen hören, verstehen und folgen so dem Evangelium, wie sie Jesus glauben und ihm begegnen. Auch sie gehen wieder hin … Eine Bewegung ist entstanden, die nicht zu stoppen ist. Paulus fasst diesen Prozess der Vervielfältigung (Multiplikation) später so zusammen: „Und was du von mir gehört hast vor vielen Zeugen, das vertraue treuen Menschen an, die fähig sein werden, auch andere zu lehren“ (2Tim 2,2). In gewisser Weise ist das Buch der Apostelgeschichte das Protokoll einiger weniger Stränge dieser frühen Bewegung. Wir lesen an vielen Stellen Sätze wie diese: „Damals vermehrte sich die Zahl der Jünger ständig“ (Apg 6,1) oder: „Das Wort Gottes aber wuchs und mehrte sich“ (Apg 12,24). Diese Dynamik setzte sich fort und innerhalb weniger Jahrzehnte erfasste und veränderte diese Bewegung die gesamte Gesellschaft, sodass selbst römische Gouverneure unruhig zu werden begannen.
„Die spontane Ausbreitung der Kirche“ betitelte der Missionstheologe Roland Allan sein Buch, in dem er erstmals diese Aspekte untersuchte. Das alles scheint uns Lichtjahre entfernt von dem institutionellen Christentum der späteren Jahrhunderte mit all den Erstarrungen und Verkrustungen, die uns bis heute Mühe machen. In der Missionsgeschichte und in Zeiten der Erweckung kam und kommt die Dynamik der ersten Gemeinschaften und Gemeinden aber immer wieder an die Oberfläche. Und wir sind überzeugt, dass wir solche Bewegungen auch in Deutschland und im Europa unserer Zeit erwarten können. Daher streben wir bewusst einen Prozess der Multiplikation an: Mit dem, was wir selber gelernt und erfahren haben, investieren wir uns in Menschen, die dasselbe wieder mit anderen tun (2Tim 2,2). Auf diese Weise werden Bewegungen angestoßen, die sich selber weiter ausbreiten, vervielfältigen und durch die sich das Evangelium in unserem Land ausbreitet und Gesellschaft zum Guten verändert.
Dieser Artikel ist auch im Brennpunkt 2019-01 auf Seite 6 zu finden.
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