UP, IN, OUT: Drei Beziehungsdimensionen des Glaubens

/ Wolfgang Klöckner

UP, IN, OUT

Wir Menschen sind Beziehungswesen – so hat Gott uns geschaffen. Sowohl die Beziehung zu ihm als unserem Schöpfer als auch zu unseren Mitmenschen gehört aus biblischer Perspektive zum Wesen des Menschseins.

Diesen Gedanken fasst Jesus in seiner Antwort auf die Frage nach dem größten Gebot zusammen. Er macht darin zugleich deutlich, welche Qualität diese Beziehung haben soll: Es geht um Liebesbeziehungen. „Liebe den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Verstand!“, sagt Jesus und fügt an: „Das ist das erste und wichtigste Gebot. Das zweite ist ebenso wichtig: ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!’“ (Mt 22,37-39). Diese Liebe zum Mitmenschen gilt nicht nur denjenigen, die mit uns Jesus nachfolgen, sondern allen Menschen. Petrus beschreibt den Dreiklang, der sich daraus ergibt einmal so: „Diese Ehrfurcht vor Gott wiederum führt zur geschwisterlichen Liebe und aus der Liebe zu den Gläubigen folgt schließlich die Liebe zu allen Menschen“ (2Petr 1,7 Hervorhebung hinzugefügt). Dieser Zusammenhang lässt sich gut mit einem Dreieck darstellen. Unsere Beziehungen richten sich nach oben hin zu Gott, nach innen hinein in die Gemeinde und nach außen in die verlorene Welt.

Dieses dreidimensionale Muster für ein ausgewogenes Leben tritt überall in der Bibel zutage: Man kann es in der Schöpfung, im alttestamentlichen Gottesvolk Israel, bei Jesus und im Blick auf die Gemeinde erkennen. Das möchte ich im Folgenden aufzeigen.

Schöpfung

Gott erschafft den Menschen als sein Ebenbild und Gegenüber, mit dem er in Beziehung steht (1Mose 1,26-27). Doch der Mensch ist auch auf ein Gegenüber seinesgleichen hin angelegt: „Es ist nicht gut, dass der Mensch so allein ist. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm genau entspricht“ (1Mose 2,18). Die Orientierung nach außen zeigt sich wiederum im Schöpfungsauftrag, den Gott dem Menschen gibt: „Sie sollen über die Fische im Meer herrschen, über die Vögel am Himmel und über die Landtiere, über die ganze Erde und alles, was auf ihr kriecht!“ (1Mose 1,26). Schon hier wird klar: Wir brauchen Gott, wir brauchen einander und wir brauchen einen Auftrag.

Israel

Für das Volk Israel ist die Beziehung zu Jahwe, seinem Gott und Befreier, konstitutiv. Die Mosebücher zeigen, wie Gott sich durch Abraham sein Volk geradezu erschafft, es aus der Versklavung befreit, ihm ein Land gibt und es durch die Jahrhunderte führt und erzieht: „Ich bin Jahwe, dein Gott! Ich habe dich aus dem Sklavenhaus Ägyptens befreit“ (2Mose 20,2). Israel soll Gott darauf mit seiner Liebe und Hingabe antworten: „Du sollst Jahwe, deinen Gott, mit ganzem Herzen lieben, mit ganzer Seele und ganzer Kraft“ (5Mose 6,5). Praktisch soll sich das im Gehorsam gegenüber Gottes Gesetz äußern – und dabei geht es nicht nur um die Gottesbeziehung (= nach oben), sondern maßgeblich auch um das geregelte Zusammenleben als Volk Gottes (= nach innen): „Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst. Ich bin Jahwe!“ (3Mose 19,18). Bekanntlich fasst Jesus in diesen beiden Liebesgeboten das gesamte Alte Testament zusammen. Schließlich sollen die Beziehungen über die Grenzen Israels hinausgehen (= nach außen). Hierzu möchte ich vier Aspekte anführen:

  • Die Nachkommen Abrahams sind dazu bestimmt, ein Segen für die ganze Welt zu sein (1Mose 12,3).
  • Sie sollen ein Zeugnis und Vorbild für die anderen Völker darstellen, wenn sie sich an die Gebote halten (5Mose 4,6-8).
  • Sie sollen die Fremden (d. h. Nicht-Israeliten) lieben, so wie Gott es auch tut (5Mose 1,19), ja, sogar im babylonischen Exil sollen sie „der Stadt Bestes suchen“ (Jer 29,7).
  • Und schließlich haben sie auch eine Art Verkündigungsauftrag: „Erzählt unter den Völkern von seiner Herrlichkeit, von seinen Wundern allen Nationen!“ (Ps 96,3; vgl. 105,1).

Auch im Blick auf Israel ist somit diese dreidimensionale Beziehungsstruktur deutlich erkennbar.

Jesus

Die drei Dimensionen im Lebensstil von Jesus sind in den Evangelien durchweg sichtbar: Immer wieder suchte er die enge Verbindung zu seinem Vater, er teilte sein Leben mit seinen Jüngern und er diente den verlorenen Menschen. Ein schönes Beispiel dafür finden wir in Lukas 6,12-19. Wir lesen dort, dass Jesus sich zum Beten auf einen Berg zurückzog und die ganze Nacht betete. Am nächsten Morgen rief er seine Jünger zu sich und wählte zwölf von ihnen aus. Mit ihnen stieg Jesus den Berg hinunter. Dort wartete zum einen eine große Schar von Anhängern und zum anderen Interessierte aus Judäa, Jerusalem und anderen Städten. Sie „waren gekommen, um ihn zu hören und von ihren Krankheiten geheilt zu werden. Auch Menschen, die von bösen Geistern geplagt waren, wurden geheilt. Alle versuchten, ihn zu berühren, denn es ging eine Kraft von ihm aus, die alle gesund machte.“

In dieser einen Szene spielen alle drei Dimensionen eine große Rolle:

  • Das Gebet, die enge Gemeinschaft mit seinem Vater hatte offenbar einen festen Platz in seinem Leben: Er betete ganze Nächte, frühmorgens, in der Einsamkeit. „Er atmete die Gegenwart des Vaters ein, um dann den Willen des Vaters ausatmen zu können.“ Jesus tat, was er den Vater tun sah – und das war die Quelle seines Lebens und Dienstes (Joh 5,19).
  • Jesus suchte aus dem Kreis seiner Nachfolger zwölf Männer aus, mit denen er sein ganzes Leben teilte:. Er offenbarte ihnen den Vater und zeigte ihnen, wie sie zu dessen Ehre und miteinander leben können. Dazu gab er selbst den Maßstab vor: „Ich gebe euch jetzt ein neues Gebot: Liebt einander! Genauso wie ich euch geliebt habe, sollt ihr einander lieben! An eurer Liebe zueinander werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid“ (Joh 13,34f).
  • Zusammen mit den zwölf Jüngern stieg Jesus mitten hinein in das Elend und die Verlorenheit der Welt. Er wartete nicht zurückgezogen, bis die Menschen zu ihm kamen. Er ging hin zu ihnen: „Der Menschensohn ist ja gekommen, um Verlorene zu suchen und zu retten“ (Lk 19,10). Ist diese dritte Beziehungsdimension im AT erst in Ansätzen erkennbar, zeigt sie sich hier als Speerspitze des Auftrags. So wie Jesus die Jünger hineinnimmt in seine Beziehung zum Vater, so nimmt er sie hinein in seine Sendung, den Rettungsauftrag.

Unausgewogene Gemeinden

Auch die Gemeinden damals wie heute leben in diesen drei Beziehungsdimensionen:

  • In der Anbetung Gottes sowie der Liebe und dem Gehorsam ihm gegenüber,
  • in einer Gemeinschaft der Liebe untereinander und
  • in dem Auftrag, einer verlorenen Welt Gottes Liebe und das Evangelium zu bringen.

Das doppelte Liebesgebot („Liebe Gott, den Herrn, und deinen Nächsten wie dich selbst“) und der Missionsbefehl („Geht hin in alle Welt ...“) sollen an dieser Stelle als Hinweis reichen. Jesus selbst und auch die Briefe betonen diese drei Ausrichtungen. Fehlt eine, wird das Leben als Christ und als Gemeinde unausgewogen.

Manche Gemeinden haben eine große Stärke in der Ausrichtung „nach oben“. Die einen betonen Anbetung oder Lobpreis, andere eher das Wort Gottes, die Predigt und Lehre. In beiden Fällen bildet meist der Gottesdienst am Sonntag den Mittelpunkt des Gemeindelebens.

Wesentlich schwächer ist in diesen Gemeinden dagegen aber oftmals das Leben in der Gemeinschaft oder in verbindlichen Kleingruppen ausgeprägt. Spielt der Gottesdienst eine so große Rolle, bleibt die Ausrichtung oft bei einer „Komm-Struktur“. Man geht nicht mehr hin zu den Menschen. Stattdessen schleicht sich leicht eine Konsumentenmentalität ein. Man kommt und geht, bleibt anonym und persönliches Engagement wird zur bloßen Option. Die Ausrichtung nach außen, der Auftrag „Geht hin ...!“ fällt dabei leicht unter den Tisch.

Andere Gemeinden haben eine (zu) starke Orientierung nach innen. Sie drehen sich um Wohlbefinden und Erbauung ihrer Mitglieder, existieren um ihrer selbst willen und wirken wie ein Kuschelclub. Gott erscheint beinahe als Mittel zum Zweck und der Blick nach außen findet kaum statt. Oder eine Gemeinde ist zwar irgendwie missionarisch aktiv, definiert sich aber stark in der Abgrenzung zur „Welt“ und auch zu anders geprägten Christen. Oft findet man hier eine Betonung der (rechten) Lehre, aber Anbetung und gemeinsames Leben haben kaum Priorität. Im Schaubild der drei Kreise sind die verschiedenen Unausgewogenheiten kurz skizziert. Mike Breen bringt in seinen Fragen an Gemeinden den Kern gut auf den Punkt: „Seid ihr stark in der Wortverkündigung, im Gebet, in der Anbetung? Das ist eure UP-Beziehung. Wie gut seid ihr darin, Gemeinschaft zu bauen, einander zuzuhören und den Bedürfnissen eurer Gemeindeglieder zu begegnen? Das ist IN. Bringt ihr das Evangelium zur Bevölkerung außerhalb der Gemeindemauern? Das ist OUT.“ So kann das Dreieck mit den drei Beziehungsdimensionen zu einer Art Diagnoseinstrument werden, das uns hilft, Unausgewogenheit zu erkennen und als Gemeinde (wieder) zu einem gesunden Gleichgewicht der Beziehungen zu gelangen. Und alles, was gesund ist, wird wachsen!

Beziehungen wie Jesus

Abschließend möchte ich einige Aspekte des dreidimensionalen Lebens auf der persönlichen Ebene ansprechen. „Es ist dir gesagt, o Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: Was anders als Recht tun, Liebe üben und demütig wandeln mit deinem Gott?“ - so beschreibt der Prophet Micha (6,8) die drei Dimensionen. Interessant dabei ist, dass er nicht sagt „demütig reden / beten / hören / gehorchen / …“, sondern „wandeln“. Das ganze Leben und nicht nur Gebet oder Gottesdienst wird in der Beziehung zu Gott gelebt und kann nicht in geistlich und weltlich aufgeteilt werden.

Jesus legte ganz offensichtlich größten Wert auf das Leben in der Gemeinschaft. Es scheint, dass er nur dann allein war, wenn er betete. Für ihn waren die Jünger seine Freunde, und er sandte sie zu zweit aus – nicht alleine. In unserer westlichen Kultur der Beziehungsarmut ist es entscheidend, dass wir den Gemeinschaftscharakter des christlichen Glaubens betonen und dessen authentische Ausdrucksformen bewusst kultivieren. Jesus (Joh 13,34-35) und auch Paulus (1Kor 13) machen deutlich: Das Qualitätsmerkmal einer christlichen Gemeinschaft schlechthin ist die Liebe untereinander – und nichts anderes.

Jesus scheute sich nicht, aus dem großen Kreis der Jünger zwölf in den engeren Kreis auszuwählen, und dann noch einmal drei als enge Vertraute. Was dachten wohl die 70 Jünger über die zwölf? Und die neun übrigen über Petrus, Johannes und Jakobus? Jesus hatte offenbar nicht den Anspruch, alle Jünger gleich zu behandeln und in ihren Augen fair zu sein. Haben wir (insbesondere als Leiter) enge Freunde, mit denen wir völlig offen sein können? Manchmal habe ich gedacht, mit den Menschen, die mir in der Gemeinde anvertraut sind, keine engen Freundschaften pflegen zu sollen. Manche Leiter und Pastoren pflegen so etwas wie eine „professionelle Distanz“ zu ihren Leuten und werden so zu den einsamsten Menschen in der Gemeinde. Jesus hat es anders vorgelebt, und auch bei Paulus sehen wir, dass er offenbar enge Beziehungen zu den Mitarbeitern seines apostolischen Teams wie auch zu einzelnen Menschen in den Gemeinden pflegte (Apg 20,4; Röm 16). Die meisten Christen werden wohl gerne bereit sein, die Nach-oben-Dimension des Beziehungsdreiecks auszubauen und ihre Beziehung zu Gott zu stärken. Vielleicht lassen sie sich auch darauf ein, an ihren Beziehungen zu anderen Gläubigen zu arbeiten. Aber der Gedanke, ihren Glauben auch nach außen zu tragen und außerhalb ihrer Komfortzone von Jesus zu reden, macht ihnen vielleicht Angst. Früher war die Kirche im Westen für die Gesellschaft der Ort, an dem man Antworten auf geistliche Fragen suchte und es gab einen Konsens über moralische Vorstellungen und Traditionen. Breen stellt fest: „Die heutige Generation von Nichtchristen betritt vielleicht nie eine Kirche, es sei denn, sie hatte schon eine positive Begegnung mit einem Christen in ihrem Umfeld.“ Daher halten wir es in der DIM für so wichtig, Menschen in der Nachfolge Jesu zu helfen, wirklich hinauszugehen zu den Menschen, die Jesus nicht kennen. Durch Vorbild und Training sind schon viele ermutigt und motiviert worden, ihre Geschichte mit Gott zu erzählen, natürlich von Jesus zu reden und für Menschen zu beten.

In welcher der drei Dimensionen unserer Beziehungen als Christen erkennen Sie Ihre Stärken? Welche fällt Ihnen besonders leicht? Erleben Sie einen ausgewogenen Dreiklang? Welche Dimension gilt es auszubauen? Bei diesen Überlegungen und Schritten wünsche ich Ihnen Gottes Segen und Führung!

Dieser Artikel ist auch im Brennpunkt 2018-03 auf Seite 3 zu finden.

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