Jesus - in jedes Haus

/ Wolfgang Klöckner

Wenn wir in unserer Vision den Wunsch ausdrücken, dass Jesus in jedes Haus kommt, meinen wir damit auch eine oikos-Struktur statt großer Gemeindezentren.

Alle Gemeindegründungen, die wir als Familie in den letzten Jahren miterlebt haben, starteten in einem Privathaus mit Gottesdiensten im Wohnzimmer. Mehr oder weniger unterschwellig war aber allen Beteiligten irgendwie klar: Eine „richtige“ Gemeinde wird das erst mit eigenen (gemieteten) Räumen oder einem Gemeindehaus! Im Rückblick hört man interessanterweise oft Sätze wie diesen: „Ach, wie schön war das damals, als alles so unkompliziert war und wir uns noch alle kannten …“ Nun soll es jedoch beim Thema Hausgemeinde nicht um einen kuscheligen Rückzugsort für frustrierte und gemeindemüde Christen oder einen elitären Club der Heiligen gehen – ganz im Gegenteil, wie diese BRENNPUNKT-Ausgabe hoffentlich zeigen wird.

Ein Blick in die frühe Geschichte der Kirche macht klar, dass die Christen sich in den ersten drei Jahrhunderten vorwiegend in Privathäusern versammelten, bevor die ersten speziellen Versammlungsgebäude errichtet wurden. Im weiteren Verlauf wurde die Kirchengeschichte auch zu einer Geschichte der Kirchengebäude, ohne die das Christentum kaum mehr vorstellbar ist. In diesem Beitrag möchte ich die zentrale Bedeutung des Hauses (griechisch oikos) für Mission und Gemeindegründung im NEUEN TESTAMENT beleuchten und damit den Boden bereiten für praktische Überlegungen, wie auch in unserer westlichen Kultur im 21. Jahrhundert christliche Gemeinschaft im Haus gelebt werden kann.

Privatunterkünfte

Jesus begegnete den Menschen sehr oft in ihren Häusern und war dort ihr Gast. Er nutzte das Haus des Petrus in Kapernaum für seine Heilungs- und Lehrtätigkeit (Mt 9,27-31; 17,24-27; Mk 1,29.33; 2,1; 3,20; 9,33) und auch das Haus von Martha, Maria und Lazarus in Betanien scheint als Versammlungsraum und Lernort gedient zu haben (Joh 11,19.31; 12,1-9; Lk 10,38-42). Jesus sandte seine Jünger in die Städte und Dörfer (Lk 10,1-12; Mt 10,1-15). Dort sollten sie Häuser aufsuchen, deren Bewohner sie wohlwollend aufnahmen. Diese „Häuser des Friedens“ dienten als Ausgangsbasis für die weitere Mission. Daneben besuchten Jesus und seine Jünger auch die Synagoge, den offiziellen jüdischen Versammlungsort, erfuhren hier jedoch auch immer wieder Kritik und Ablehnung. Ähnlich erging es Paulus.

Die Urgemeinde in Jerusalem lehrte und verkündigte das Evangelium sowohl im Tempel als auch in den Häusern; zum Brechen des Brotes (d. h. sowohl zu gemeinsamen Mahlzeiten als auch zum Abendmahl) traf man sich in den Häusern (Apg 2,46; 5,42). Das waren offensichtlich mehr als die beiden Häuser, die ausdrücklich erwähnt werden, der so genannte „Obersaal“ (Apg 1,13-15) und das Haus von Maria, der Mutter von Johannes Markus (12,12). 3.000 (2,41) bzw. 5.000 (4,4) Neubekehrte hätten hier kaum untergebracht werden können. Geht man jedoch von einer großen Zahl von Häusern aus, wird das Ganze plausibel.1 Und ist es nicht bemerkenswert, dass das Pfingstereignis als Geburtsstunde der Gemeinde weder im Tempel, noch in einer Synagoge geschah, sondern offenbar in einem (privaten) Haus („oikos“, Apg 2,2)?

Missionsstart

In der Küstenstadt Cäsarea rief der römische Offizier Cornelius Familie und Freunde in seinem Haus zusammen, um von Petrus „alles zu hören, was dir vom Herrn aufgetragen ist“ (Apg 10,33). Hier entstand zum ersten Mal eine Hausgemeinschaft von Jesusnachfolgern, die keine Juden waren. Im Zuge der Missions- und Gemeindegründungsarbeit von Paulus lassen sich viele Beispiele für Hausgemeinden finden. Paulus’ erster Schritt seiner Mission an neuen Orten führte ihn zwar zunächst meist in die jüdische Synagoge, doch wie Jesus wurde er hier mehr oder weniger bald abgelehnt und sammelte die Gläubigen in Häusern – etwa in Korinth: „Er verließ die Synagoge und verkündete das Evangelium von da an bei Titius Justus, einem Nichtjuden, der an den Gott Israels glaubte und dessen Haus unmittelbar neben der Synagoge stand. In der Folge kam kein Geringerer als Krispus, der Vorsteher der Synagoge, zum Glauben an den Herrn – er und alle, die in seinem Haus lebten. Auch viele andere Korinther, die Gottes Botschaft hörten, glaubten und ließen sich taufen“ (Apg 18,7-8).

Der Grundstein der Gemeinde in Philippi wurde in zwei Häusern gelegt: Lydia und „ihr Haus“ wurden von Paulus und seinem Team getauft. Anschließend lud Lydia sie für einige Tage in ihr Haus ein (Apg 16,14-15.40).

Ebenso verkündigten Paulus und Silas dem Kerkermeister und „allen, die in seinem Haus waren“ das Evangelium, worauf dieser und seine Hausgenossen gläubig wurden und sich taufen ließen (Apg 16,31-24).

Gruß ans Haus

An vier Stellen in seinen Briefen (Röm 16,3.5; 1Kor 16,19; Kol 4,15; Phlm 1-2) spricht Paulus in seinen persönlichen Grüßen ausdrücklich von Gemeinden in einem bestimmten Haus und weitere Stellen deuten auf die Existenz vieler Hausgemeinden in verschiedenen Städten hin. Besonders beeindruckend ist hier die lange Reihe von Grüßen am Ende des Römerbriefes (Röm 16,1-23). Sieben Hausgemeinden lassen sich aus dieser Aufzählung von namentlichen Grüßen mit hoher Wahrscheinlichkeit konstruieren und sehr vermutlich gab es in Rom noch weitere.2 Obwohl Paulus die Christen in Rom in ihrer Gesamtheit anspricht (Röm 1,7), gibt es für diese erste Zeit der christlichen Gemeinden in Rom (ca. 50-55 n. Chr.) keinen Hinweis auf ein räumliches Zentrum, sodass man von einem Netzwerk von Hausgemeinden sprechen kann.3 Das wird auch in der antiken Metropole Ephesus nicht anders gewesen sein, wo Paulus von seiner Verkündigung „öffentlich und in den Häusern“ spricht (Apg 20,17-38).

Mehr als ein Gebäude

Eckhard Schnabel hält in seinem umfassenden Werk „Urchristliche Mission“ fest: „Das ‚Haus’ (oikos, lat. familia) war in der Antike die zentrale und elementare gesellschaftliche Lebenswirklichkeit. Zum ‚Haus’ gehörten nicht nur Ehemann/Ehefrau, Eltern/Kinder, sondern auch Sklaven; in einem weiteren Sinn gehörten zum ‚Haus’ weitere Blutsverwandte, angeheiratete Verwandte und Freunde.“

„Haus“ bezeichnet also nicht nur ein Gebäude, sondern vor allem auch eine jahrtausendealte soziale Struktur, die das Zusammenleben von Menschen – selbstverständlich meist unter einem Dach – beinhaltet. Es ist aus heutiger Sicht bemerkenswert, dass somit im oikos praktisch alle sozialen Schichten der antiken Gesellschaft gegenwärtig waren – vom „Pater familias“ in gehobener Stellung bis hin zu den Sklaven. Diese Realität bestimmte offenbar auch die christlichen Gemeinschaften, was sich in den so genannten „Haustafeln“ der Paulusbriefe (Eph 5,22 – 6,5 und Kol 3,18 – 4,1) wie auch in den behandelten Gemeindeproblemen (z.B. 1Kor) widerspiegelt. Hier finden wir praktische Anweisungen für das Zusammenleben sehr verschiedener Menschen in den Hausgemeinden. Weil die christliche Hausgemeinde der schon vorhandenen gesellschaftlichen Struktur einer Lebensgemeinschaft im Haus entspricht, waren damit auf ganz natürlichem Weg verschiedene Gesellschaftssegmente vertreten. Das Zusammenleben aller ohne Unterschied in Liebe vereint in Christus (Gal 3,28) sprach ohne Zweifel für sich selbst!

Heute noch

Mit der Zeit wurde aus dieser oikos-Struktur in den westlichen Gesellschaften die (klein-)bürgerliche (Klein-)Familie. Die gesellschaftliche Entwicklung in Richtung Individualismus ist inzwischen rasant weitergegangen, was sich an der zunehmenden Anzahl der Single-Haushalte wie auch der immer stärker empfundenen Einsamkeit zeigt. Eine festgefügte oikos-Struktur wie in der Antike wird es hier kaum geben, doch wenn wir das „Haus“ als den Raum verstehen, in dem Menschen ihr Leben verbringen, in dem ihre Freunde sind und wo sie sich gerne aufhalten – dann öffnet sich der Blick auf verschiedenste oikos-ähnliche Strukturen, Gemeinschaften und Gruppen. Das Konzept der Hausgemeinde hilft uns, wie zu neutestamentlichen Zeiten auf die gesellschaftlichen Realitäten einzugehen und Menschen dort mit dem Evangelium zu erreichen und Gemeinden zu gründen, wo sie leben. Eckhard Schnabel schreibt: „Der antike oikos im Sinne von Haus als Wohnraum und familiärem Hauswesen wurde Missionsstützpunkt, Gründungszentrum einer Ortsgemeinde, Stätte der Versammlung zum Gottesdienst, Herberge für die Missionare (…) und natürlich auch unmittelbarer und entscheidender Ort christlicher Lebensgestaltung.“ Wir sind überzeugt, dass dies auch hier und heute wieder geschehen kann!

Dieser Artikel ist auch im Brennpunkt 2019-03 auf Seite 3 zu finden.

Hintergründe: Eckhard J. Schnabel, Urchristliche Mission, Wuppertal: R.Brockhaus 2002, S.789-790.

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